Offener Brief an ARD wegen der Reportage „Abchasien – Abseilen an Sowjet-Trümmern“

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir möchten auf den Inhalt der Weltspiegel-Reportage von Herrn Damien von Osten „Abchasien – Abseilen an Sowjet-Trümmern“ (https://www.tagesschau.de/ausland/weltspiegel-abchasien-101.html) vom 21.07.2019. eingehen, um auf den gravierenden Fehler hinzuweisen, der sich in dieser Reportage versteckt. Im Beitrag handelt es sich um Abchasien, die sich mit Hilfe der Russischen Föderation in den 1990er Jahren von Georgien abgespaltet hat und aus der, die Mehrheit der lokalen Bevölkerung, ethnische Georgier/innen (circa 250.000 Menschen) vertrieben wurden.

Problemstellung: Zitat aus dem Beitrag – „Am Ritsa-See ließ er (Stalin) sich eine Sommerresidenz erbauen und traf eine folgenschwere Entscheidung. Abchasien wurde Georgien zugeordnet“ stellt das Hauptproblem der Reportage dar und darauf werden wir uns in unserer Argumentation auch konzentrieren, in dem wir unsere Argumente im Gegensatz zum Herrn von Osten aufgrund der historischen Quellen zum Ausdruck bringen möchten.

Das Zitat aus dem Beitrag impliziert die Wahrnehmung, als ob Stalin – selbst ein Georgier Abchasien Georgien übergab und dadurch den Anschluss Abchasiens an Georgien ermöglichte. Dieses Narrativ zu vermitteln, ist nicht nur falsch, sondern auch äußerst gefährlich, weil es das Narrativ der Russischen Föderation im Hinblick auf die völkerrechtswidrige Außenpolitik des Kremls gegenüber Georgien wiedergibt. Wir werden im folgenden Abschnitt des Textes versuchen, aufgrund der historischen Quellen darzulegen, dass Stalin Georgien nichts „zugeordnet“ hat und dass Abchasien bereits davor Teil Georgiens gewesen ist.

Das Narrativ, das Abchasien ein eigenständiges politisches Gebilde gewesen ist, das zuerst von der Ersten Georgischen Republik erobert und das nach der Besetzung der georgischen Republik vom Stalin höchstpersönlich an Georgien übergeben wurde, wurde vor kurzem ebenfalls höchstpersönlich von Vladimir Putin präsentiert. Wenn wir berücksichtigen, dass Russland zwei Gebiete von Georgien, also Abchasien und Zchinvali-Region (Südossetien) okkupiert hält und in diesem Zusammenhang die Geschichte stark instrumentalisiert, halten wir das in der Reportage angeführte Narrativ für äußerst gefährlich. Aus diesem Grund möchten wir Ihnen fünf Fakten aus der Geschichte präsentieren, damit Sie sich persönlich überzeugen können:

  1. Während der Ersten Georgischen Demokratischen Republik (1918-1921) wurde Abchasien nicht mit Hilfe der deutschen Einheiten erobert, wie es vom russischen Präsidenten behauptet wird. Am 11. Juni 1918 wurde zwischen dem Nationalrat Georgiens und dem Abchasischen Volksrat ein Vertrag über die Integration Abchasiens in die Georgische Demokratische Republik unterzeichnet, wodurch Abchasien wieder Teil des georgischen Staates geworden ist. Im Februar 1919 fanden die Wahlen der Verfassungsgebenden Versammlung (das erste Parlament Georgiens) dementsprechend auch in Abchasien statt. In der Verfassung der  Georgischen Demokratischen Republik aus dem Jahr 1921 wurde Abchasien einen Autonomiestatus innerhalb des georgischen Staates verliehen.

Quellen:

  1. Ein zweiter und sehr wichtiger Aspekt ist der Moskauer Vertrag zwischen dem Sowjetrussland und der Demokratischen Republik Georgien vom 7. Mai 1920, der in Moskau abgeschlossen und von beiden Seiten unterzeichnet wurde. Mit dem Vertrag erkannte Sowjetrussland Georgien als einen unabhängigen und souveränen Staat an, dessen Grenze zum Sowjetrussland entlang des Flusses –  Psou verlief. Da Abchasien Teil Georgiens gewesen ist und Sowjetrussland keinen rechtlichen Anspruch auf die Region haben konnte, wurde Abchasien in dem Vertrag nicht einmal erwähnt. P.S. Übrigens verläuft auch aktuell die international anerkannte Grenze zwischen Georgien und der Russischen Föderation entlang des Flusses – Psou.

Quelle, Vertrag zwischen Sowjetrussland und Georgien vom 7. Mai 1920:

  1. Die Gründungserklärung der Sowjetunion und der Vertrag  unter den Sowjetrepubliken beinhaltet keine einzige Zeile über Abchasien als SSR.

Quelle: http://doc.histrf.ru/20/deklaratsiya-i-dogovor-ob-obrazovanii-soyuza-sovetskikh-sotsialisticheskikh-respublik/?fbclid=IwAR0wrV6JlT-Lgnr7x5W1KMO5msSmGCRkZgaBJuzziQmX3An_ZUkK6ykaq-U

  1. Nach der Okkupation der Georgischen Demokratischen Republik durch das Sowjetrussland im Februar/März 1921 wurde im Rahmen der Nationalitätenpolitik der Bolschewiki die Abchasische Sozialistische Sowjetrepublik (SSR) proklamiert. Allerdings wurde am 16. Dezember 1921 ein Unionsvertrag zwischen georgischen und abchasischen de facto Sozialistischen Sowjetrepubliken abgeschlossen, der die föderative Bindung Abchasiens an die Georgische SSR im Rahmen eines Unionsvertrages festlegte. Dementsprechend wurde die Abchasische sog. SSR über die Georgische SSR Teilrepublik der Transkaukasischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik und der UdSSR. An diesem Punkt sollte erwähnt werden, dass der Status der Abchasischen SSR nur proklamiert wurde und wohl aus diesem Grund wurde sie nie rechtlich fest innerhalb der sowjetischen Verfassung verankert. Aufgrund der genannten Gründe wird Abchasien in der Verfassung der Sowjetunion aus dem Jahr 1924 als Autonome Republik innerhalb der georgischen SSR genannt und nicht als Abchasische SSR.

Zitat aus der Verfassung der Sowjetunion aus dem Jahr 1924:

„Gründungsvertrag der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Die Rußländische [Rossijskaja] Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR), die Ukrainische [Ukrainskaja] Sozialistische Sowjetrepublik (USSR), die Weißrussische [Belorusskaja] Sozialistische Sowjetrepublik (BSSR) und die Transkaukasische [Zakavkazskaja] Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (ZSFSR: die Sozialistische Sowjetrepublik Aserbaidschan [Azerbajdžan], die Sozialistische Sowjetrepublik Georgien [Gruzija] und die Sozialistische Sowjetrepublik Armenien [Armenija]), schließen sich in einem Bundesstaat – der „Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ – zusammen“.

5.  In der Verfassung der Transkaukasischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik wird nicht ein einziges Mal Abchasische Sozialistische Sowjetrepublik erwähnt, was noch einmal darauf hindeutet, dass „Abchasische Sozialistische Sowjetrepublik“ ein künstliches Gebilde im Rahmen der Nationalitätenpolitik der Bolschewiki gewesen ist.

Quelle: http://illuminats.ru/component/content/article/29-new/4638-soviets?fbclid=IwAR0w5cbX2vM2VrDLj2Y6eQCSIExGzdVz1TeW9hCvx8feLDPPH9_lcXZdrTU

Zusammenfassung

Wir hoffen sehr, dass Ihnen durch unseren Beitrag die historischen Zusammenhänge sowie die Gründe für die Sensibilität der Menschen aus Georgien zum Thema klarer geworden sind. Abchasische Sozialistische Sowjetrepublik war ein Produkt der Nationalitätenpolitik der Bolschewiki und allgemein des Sowjetimperiums, das laut Uwe Halbach nach dem Prinzip der russischen Matroschka (ineinander geschachtelte Holzpuppen) handelte. Dadurch sollte die Illusion entstehen, dass im Vielvölkerreich Sowjetunion die sog. Nationalitätenfrage gelöst und den einzelnen Völkern Freiheit gewährt wurde.  Aus diesem Grund wurden autonome Gebiete, Bezirke und Kreise eingerichtet, die angeblich der Förderung der verschiedenen Volksgruppen dienen sollten, jedoch in keinem Fall ethnisch-konfessionellen Grenzen entsprachen (http://www.bpb.de/apuz/32106/ein-blick-in-die-geschichte-kaukasiens?p=all). Zu diesem Ziel wurde auch die sog. Abchasische Sozialistische Sowjetrepublik eingerichtet, die über den Unionsvertrag als Teil der georgischen SSR dem Sowjetimpierum beigetreten ist, nachdem das Sowjetrussland Demokratische Republik Georgien okkupierte. Wie gesagt, im Rahmen der Demokratischen Republik Georgien (1918-1921) wurde Abchasien bereits eine Autonomie gewährt und somit bildete Abchasien über die Geschichte vor 1918 hinaus, einen unabdingbaren Teil des georgischen Staates längst vor 1931.

Georgien, dessen 20% von Russland okkupiert ist, versucht dennoch mit allen Mitteln Teil der demokratischen Welt und der europäischen Familie zu sein. Das Land ist Vorreiter der Östlichen Partnerschaft der EU und eine Vorzeigedemokratie im sog. postsowjetischen Raum, obwohl es tagtäglich der russischen Gefahr in Form von Stacheldrahtzäunen, Entführungen und in einzelnen Fällen Ermordung von Zivilisten (Archil, Tatunaschwili, Giga Otchozoria) ausgesetzt ist. Umso bitter ist es, wenn ein deutscher, öffentlich-rechtlicher Sender auch wenn unbeabsichtigt das Narrativ des russischen Staates und seiner neoimperialen Außenpolitik unterstützt.

Wir bitten Sie um die Richtigstellung der Fehler und um die Anpassung des Textes entsprechend der historischen Wahrheit!

P.S. Vielen Dank gilt dem georgischen Historiker Lascha Bakradze für seinen Text, aus dem die einzelnen Passagen in unserem Text verwendet wurden!

Georgische Studierende in Deutschland und Österreich

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