Plant Russland die Annektierung der Zchinvali-Region (Südossetien)?

Referendum

Am 6. Februar ordnete der de facto Präsident Südossetiens Leonid Tibilow ein Referendum zur Namensänderung des abtrünnigen Gebiets an. Das Referendum solle am 9. April parallel zu den Präsidentschaftswahlen in Südossetien stattfinden und nach dem Plan dieser Regierung Südossetien in „Republik Südossetien – Alanien“ umbenannt werden.

Südossetien, Zchinvali-Region oder Republik Südossetien-Alanien?

Südossetien selbst, als Bezeichnung für das Gebiet, wurde von den Bolschewiki erst 1922 gesetzlich eingeführt. Die Festlegung erfolgte unmittelbar nach der Okkupation der Ersten Georgischen Demokratischen Republik durch die sowjetische Armee im Frühjahr 1921. Dementsprechend ist die Anwendung der Bezeichnung „Südossetien“ an sich falsch, weil es innerhalb der territorial-administrativen Aufteilung des georgischen Staates kein Südossetien gibt. Das Gebiet, das als Südossetien bezeichnet wird, ist Teil der georgischen administrativen Region Schida Qartli. Als Gegenpart zur falschen Bezeichnung – Südossetien wird im offiziellen, georgischen Sprachgebrauch „Zchinvali-Region“ angewendet.

Im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion erklärte der Oberste Sowjet in Zchinvali die Gründung einer südossetischen Sowjetrepublik. Seit 1922 war Südossetien als autonomes Gebiet Teil der Georgischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Die Entscheidung zur Gründung der ossetischen Republik wurde von Georgiern als Separatismus empfunden und vom Präsidium des Obersten Sowjets der Georgischen SSR für unwirksam erklärt. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Osseten und Georgiern, wobei Osseten tatkräftig von der russischen Seite unterstützt wurden. Circa 100 000 Osseten und 20 000 Georgier sind im Zuge des Krieges geflüchtet.

Unabhängig, aber abhängig?

Nach dem August-Krieg 2008 erkannte Russland völkerrechtswidrig sowohl Abchasien als auch Zchinvali-Region (Südossetien) als unabhängige Staaten an und verstärkte seine Militärpräsenz in den beiden Gebieten. Dennoch sind beide Gebiete in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht von Moskau abhängig. Russland finanziert deren Existenz und wichtige politische Entscheidungen werden nicht in Sochumi oder Zchinvali, sondern in Moskau getroffen. Parallel zu den Vorprozessen zum Abschluss des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Georgien fing Russland 2013 an, um die Zchinvali-Region herum einen langen Stacheldrahtzaun zu bauen. Dadurch gerieten weitere Teile des georgischen Territoriums unter die russische Kontrolle. Gleichzeitig verschoben russische Militärs und ossetische Milizen die de facto Grenze an einigen Orten ins Innere des georgischen Kernlandes und Russland betreibt dadurch eine schleichende Okkupation georgischer Territorien.

Warum wird die Namensänderung angeordnet?

Die von der de facto Regierung in Zchinvali angekündigte Namensänderung könnte vor allem zwei Zielen dienen:

  1. Die lokalen Politiker versuchen, mit dem Thema vor den de facto Wahlen zusätzlich Wählerstimmen zu gewinnen, weil in Zchinvali seit langem über den Anschluss an die Russische Föderation diskutiert wird. Die Bevölkerung hofft auf die Verbesserung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage. Das ist eine vergebliche Hoffnung, weil Russland nicht an der Verbesserung der Lage in den von ihm okkupierten Gebieten interessiert ist. Moskau braucht zur Kontrolle der politischen Eliten vor Ort, eine totale Abhängigkeit von Russland.
  1. Eher zu vermuten, ist die Absicht Russlands, durch solche Schritte den Druck auf die georgische Regierung auszuüben. Die georgische Regierung versucht seit dem Regierungswechsel im Jahr 2012, die Beziehungen zu Russland zu verbessern. Gleichzeitig setzt sie aber den Kurs der Westintegration Georgiens als die wichtigste, außenpolitische Priorität mit Erfolg fort. Das Ergebnis dieser Politik ist der Abschluss des Assoziierungsabkommens mit der EU. Durch das Freihandelsabkommen und die Visaliberalisierung für Georgien rücken die EU und Georgien näher zusammen. Russland zeigt seine Muskeln und hebt die einzelnen Waffen hervor, mit welchen es Georgien noch mehr verletzen kann.

Da es innerhalb der Russischen Föderation bereits eine administrative Einheit mit dem Namen Republik Nordossetien-Alanien gibt, wird durch die geplante Umbenennung die Gefahr größer, dass sich dahinter die tatsächlichen Anschlusspläne verbergen. Durch diesen Schritt könnte die Grundlage für eine endgültige Annektierung geschaffen werden.

Fazit

Russland versucht die internationale Gemeinschaft aus dem Regelungsprozess der Konflikte komplett auszuschließen. Aus diesem Grund blockierte der Kreml zweimal, 2004 und 2008, die Fortsetzung der OSZE-Missionen in Georgien. 2009 blockierte Russland die Fortsetzung der UN-Mission – UNOMIG. Die Demokratisierung Georgiens ist dem Kreml ein Dorn im Auge sowie der erfolgreiche Integrationsprozess mit der EU.

Dieser Erfolg ist durch die Kontinuität der Stabilität in den EU-Georgien-Beziehungen, Wahrung der Demokratie und Beibehaltung des westlichen Kurses seitens der georgischen Regierung geprägt. Selbstverständlich hat Georgien mit den Problemen zu kämpfen, die aus dem Transformationsprozess hervorgehen. Aber den Integrationsprozess mit der EU konnte Russland im Gegensatz zu den anderen Staaten der Östlichen Partnerschaft bis jetzt nicht grundlegend beeinflussen. Die endgültige Annektierung der Zchinvali-Region wäre die Fortsetzung der völkerrechtswidrigen Aktionen Russlands, welches das Völkerrecht als solches ignoriert und die Territorien der Nachbarstaaten, deren Unabhängigkeit in der nahen Vergangenheit selbst anerkannte, annektiert.

Im Mai 1920 erkannte die Russische Sowjetrepublik mit den Bolschewiki an der Spitze die Unabhängigkeit der Ersten Georgischen Republik an, die nach dem Zerfall des Zarenreichs mit Hilfe des deutschen Kaiserreichs entstanden ist. Nicht einmal ein Jahr später griff die Rote Armee die junge, georgische Republik an und okkupierte sie schließlich im Frühjahr 1921. Die neoimperiale Außenpolitik Russlands ist der Versuch der russischen Eliten, die durch den Zerfall der Sowjetunion unterbrochene Kontinuität der imperialen Tradition fortzusetzen. Dementsprechend ist unter der Berücksichtigung der aktuellen Umstände nicht auszuschließen, dass Russland die Annektierung der Zchinvali-Region plant…

von Mikheil Sarjveladze

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